„ICH BIN EINE KÄMPFERIN!“ – Zeitzeugengespräche mit Frida Raisman ein voller Erfolg

Im Zuge des „Unternehmens Barbarossa“, des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion ab dem Juni 1941, wurde das belarussische Minsk schnell von der deutschen Wehrmacht eingenommen und besetzt. Innerhalb weniger Tage begannen Wehrmacht und SS mit der Errichtung eines Ghettos und der Inhaftierung der jüdischen Minsker Bevölkerung, welche damals 75.000 Menschen betragen haben mag.

Frida Raisman, 1935 in Minsk geboren, kam im Alter von sechs Jahren in das dort errichtete Ghetto, gemeinsam mit ihren zwei Brüdern und ihren Eltern. Sie konnte fliehen und überlebte dank der Hilfe mehrerer weißrussischer Bauernfamilien das deutsche Terror-Regime. Von ihren Erlebnissen berichtete sie jetzt in insgesamt acht Veranstaltungen zwischen dem 29. und 31. Januar 2014, die der Büdinger Kreis e. V. (BK) zusammen mit der Bildungspartner Main-Kinzig GmbH und dem ehemaligen Fortbildungsdezernenten im Staatlichen Schulamt für den Main-Kinzig-Kreis, Heinrich Georg Semmel, organisiert hat.

An der Adolf-Reichwein-Schule in Rodenbach wurde zur Begrüßung gar gesungen

Unterstützt wurde das Vorhaben durch das Zentrum für Regionalgeschichte des Main-Kinzig-Kreises und den Landesverband Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung förderte die Transferkosten von Frau Raisman mit einem kleinen Betrag, der Hanauer Geschichtsverein 1844 e. V. übernahm einen Teil der Übernachtungskosten.

„Was könnte die Welt gewinnen, wenn ich getötet würde?“  FRIDA RAISMAN

Vier Monate nach der Errichtung des Ghettos begannen Deportationen jüdischer Bürger aus Großstädten in Deutschland, aus Wien und aus der besetzten Tschechoslowakei nach Minsk. Am 11./12. November 1941 wurden aus Frankfurt über 1.000 Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Minsk deportiert, die größtenteils vorher in Gemeinden des Frankfurter Umlandes lebten. In Minsk selbst wurde zuvor für die deutschen Juden „Platz geschaffen“: In groß angelegten Erschießungsaktionen wurden etwa 12.000 einheimische Juden ermordet. Bis auf elf Personen wurden alle Frankfurter Deportierten im Ghetto oder am nahen Vernichtungsort Maly Trostenez ermordet.

Frida Raisman im Gespräch mit Schüler*innen der Bertha-von-Suttner-Schule in Nidderau

Die Fragen, die Frau Raisman gestellt bekam, sei es nun von Schülern einer Frankfurter 10. Hauptschulklasse, von ehrenamtlich in Geschichtsvereinen Engagierten oder Mitgliedern der Frankfurter alevitischen Gemeinde, ähnelten sich. Immer war das tiefe Bedürfnis zu spüren, das Grauen, das die deutschen Besatzungstruppen damals in Minsk verbreiteten, irgendwie erfassen, ja im Wortsinne begreifen zu können. Unvorstellbar, dass die Häftlinge des Ghettos einfach ihrem Schicksal überlassen wurden, es nichts zu essen oder auch nur sauberes Trinkwasser gab. Immer wieder wurde Frau Raisman auch danach gefragt, ob sie nicht zu irgendeinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben habe. Doch Raisman, die sich heute als Vorsitzende eines Vereins von Überlebenden des Ghettos engagiert und in dieser Eigenschaft bereits mehrere Bücher publiziert hat, antwortete auf diese Frage regelmäßig, sie sei eine Kämpferin. Ihr Auftreten ließ die Schüler*innen und das ganze Publikum sie rasch ins Herz schließen. Auch die unverkrampfte Art der heute 78-Jährigen, mit Deutschland umzugehen, der Herkunft ihrer Peiniger, das sie bereits seit 1999 kontinuierlich bereist, beeindruckte die Zuhörer*innen nachhaltig. Frida Raisman möchte vor allem junge Menschen „im Herzen berühren“, wie sie sagt. Spätestens, wenn die Sprache auf ihren mittleren Bruder kam, der ausgerechnet am 29. Januar 1942, also auf den Tag genau 72 Jahre vor dem ersten Tag ihres Besuchs in Hessen, von seinem Einsatz in der Zwangsarbeitskolonne nicht zurückkehrte, ist genau das im Publikum zu spüren.

Nicht der Hass und die Gewalt werden die Welt retten, sondern die Schönheit, die Liebe und die Herzensgüte.“
FRIDA RAISMAN

Bei allen Veranstaltungen wurden die belarussischen Besucher herzlich willkommen geheißen. Einen außergewöhnlichen Rahmen hatte sich die Adolf-Reichwein-Schule in Rodenbach einfallen lassen. Zur Begrüßung sangen die Schüler*innen, begleitet von ihrem Musiklehrer am Flügel, das Lied „Traum vom Frieden“ des Liedermachers Hannes Wader und bereiteten Frida Raisman damit einen besonders stimmungsvollen Empfang.

Besonders greifbar wurden die Berichte über die Deportationen aus Deutschland naturgemäß weniger über die Zahlen, sondern über lokale Einzelschicksale, über die immer wieder Informationen in die Gespräche eingestreut wurden. Viele der Frankfurter Deportierten waren im Zuge der bereits Jahre anhaltenden Judenverfolgung zuvor aus dem Umland (z. B. aus den Gemeinden Hanau, Nidderau, Rodenbach, Gelnhausen oder Bensheim) nach Frankfurt gekommen, weil die Stadt ein höheres Maß an Anonymität versprach.

Frau Raisman und ihr Übersetzer, der pensionierte Minsker Linguistikprofessor Alexander Ladisow, waren auf Einladung des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerkes Dortmund (IBB) und der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) gemeinsam mit vier weiteren Zeitzeugen*innen nach Deutschland gereist, wo sie in Berlin am 27. Januar zunächst Gast bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus war. In Trostenez soll 2014 der Grundstein einer Gedenkstätte für die ermordeten Juden aus Minsk sowie aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei dorthin verschleppten gelegt werden. Das IBB engagiert sich in Deutschland für die inhaltliche und finanzielle Unterstützung des Projekts.

V. l. n. r.: Frida Raisman, Alexander Wicker (Vorstandsvorsitzender des BK), Professor em. Alexander Ladisow (Dolmetscher/Übersetzer)

In Hessen hatten der BK und seine Partner nun acht Veranstaltungen organisiert, überwiegend in Schulen, aber auch beim Main-Kinzig-Kreis und auf Einladung der Alevitischen Jugend Hessen bei der Alevitischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Insgesamt erreichten die Veranstaltungen so ca. 800 Menschen.

Zeitzeugengespräche im Raum Frankfurt:
Mittwoch, 29. Januar 2014: Bertha-von-Suttner-Schule Nidderau, Adolf-Reichwein-Schule Rodenbach, Goethe-Gymnasium Bensheim
Donnerstag, 30. Januar 2014: Karl-Rehbein-Schule Hanau (teilöffentlich), Franziskanergymnasium Kreuzburg in Großkrotzenburg, Main-Kinzig-Forum Gelnhausen (öffentlich)
Freitag, 31. Januar 2014: Sophienschule Frankfurt, Alevitische Jugend Hessen in Frankfurt (öffentlich)

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